Martin Felder
Jahrgang 1974, studierte in Genf Philosophie, Spanisch und Deutsch, Prix Jeanne Hersch der Arditi-Stiftung Genf, Werkbeitrag von Luzern. Im März 2013 erscheint sein Debütroman "Meine Nachbarin, der Künstler, die Blumen und der Revolutionär" im Salis Verlag, Zürich/Berlin.
Weiter Veröffentlichungen:
- "1000-Seiten-Roman", 24 S., Literatur Quickie Verlag, Hamburg 2011
- "Die Blumen meiner Nachbarin", 32 S., SchwarzHandPresse, Flaach 2009
Weitere Informationen unter unter www.wortundwirkung.ch
Martin Felder zum Anhören (mp3)
Mit freundlicher Genehmigung von www.weblesungen.de
...und als Kostprobe zum Lesen:
Der Gast (Auszug aus der Kurzgeschichte)
Zurück beim Hotel stampfe ich müde die Treppe hoch zu meinem Zimmer. Unter der Tür dringt Licht durch den Spalt. Habe ich vergessen, die Lampe
auszumachen?
In meinem Zimmer betrachtet sich ein Mann im Wandschrankspiegel. In der Hand hält er den Kittel meiner neuen Kleidung. Das weiße Hemd trägt er bereits, darunter
braune Manchesterhosen, mit Knieflicken, beinahe wie ein Bettler. Auf dem Bett liegt ein schmutziges Hemd.
"Was machen Sie in meinem Zimmer?", frage ich.
"Wie steht sie mir?", fragt er zurück und dreht sich um. Den Kittel hält er sich vor die Brust.
"Sie haben sicher genug solche Kleider", meint er, "ich allerdings bin schlecht angezogen, wie Sie sehen. Und ich glaube, dieser Anzug würde zu mir passen, wir
haben beide fast die selbe Statur."
Der Mann legt den Kittel auf das Bett und schlüpft in meine neuen Hosen. Mein Magen krampft sich zusammen. "Ziehen Sie sofort meine Kleidung aus!", schreie ich ihn
an. "Sie sind hier eingedrungen, das reicht ja wohl, aber wenn Sie denken, ich sehe mir an, wie Sie hier seelenruhig mein Eigentum anprobieren, irren Sie sich gewaltig." Langsam gehe ich auf ihn
zu, die Rechte zur Faust geballt. Doch der Mann ergreift mein Hemd auf seiner Brust mit beiden Händen und sagt ganz ruhig: "Wenn Sie einen Schritt näherkommen, reiße ich alle Knöpfe von Ihrem
schönen Stück."